11. april, fehlerunddeintag
11. april, fehlerunddeintag

11. april, fehlerunddeintag

„Genau jetzt spüre ich genau das und bin tatsächlich ein wenig selig. Und ich grinse. Auch selig. Du warst nicht nur rund 20 Zentimeter größer als ich, du warst genauso bekloppt. Wie ich.“

Ich weiß nicht, wie lange ich nicht da war.

Ein paar Wochen bestimmt. Ich konnte einfach nicht. Ich konnte es für ein paar Wochen einfach nicht mehr ertragen, da zu stehen. Erst zu checken, ob alles in Ordnung, ob alles hübsch ist. Ob du es hübsch hast. Und um dann wieder zu erstarren. Stille und Sprachlosigkeit. Und dieses verdammte Brennen in meiner Brust. Wenn sich alles in mir zusammenzieht. Und mein Herz schneller schlägt. Und doch still steht. Wenn ich wieder weiß, weshalb ich hier stehe. Und weshalb ich es manchmal nicht mehr ertragen kann.

07:23. Trüb und trist da draußen. Selbst von Vogelgezwitscher weit und breit nix zu hören. Nass und usselig, da draußen. Ich bin ein bisschen froh. Und erleichtert. Mein rebellierender Körper scheint sich mit den Stents arrangiert zu haben. Mich fröstelt schneller, aber ansonsten wohl alles gut überstanden. Und ich hab mir vor der OP wochenlang mindestens 1x pro Tag quasi vor Schiss in die Buxe gemacht. Ich kenn’ mich ja. Einerseits kommste heut’ nicht kommste morgen und mal keine Hektik, wird schon – und andererseits die schlimmste Susi vom Dienst, die dauerstirbt und sich sowieso die schlimmsten Horrorszenarien ausmalt und selbstverständlich keinen Fitzel daran denkt, dass es auch schlichtweg gut ausgehen könnte.

Das sind Momente, wo du mir verdammt noch mal besonders fehlst. Nicht, um mich zu bedauern. Nein, um mich wieder zurechtzurücken. Mich runterzuholen. Und da kommt wieder die Nummer mit den Gedanken und Erinnerungen in mein tägliches Lebensspiel. Dann bist du plötzlich da. Du und deine Gelassenheit. Du mit deinen Erfahrungen und Weisheiten. Und diesem kackendreisten Grinsen, wenn ich mal wieder Schnappatmung hatte.

Nein, es ist nicht schön, es ist richtig scheiße, dass du tot bist. Richtig scheiße. Aber ich bin froh und es beruhigt mich, dass du in meinen Gedanken immer da bist und ich dich zu Rate ziehen kann. Dass du mich trotzdem immer noch irgendwie runterholst, mich tröstest und wieder aufmunterst. Und da bist. Wenn ich mich mal wieder verlassen und einsam fühle. Und hilflos. Dann nimmst du mich wieder in deine starken beschützenden Arme und drückst mich ganz feste an deine warme Brust. So feste, dass ich deinen Herzschlag spüren kann. Und deine ganze Liebe. Dann bin ich wieder völlig in dir vergraben und könnte vor lauter Liebe und Vertrauen zu dir selig zerfallen. Gedanken und Erinnerungen.

07:55. Gerade jetzt. Genau jetzt spüre ich genau das und bin tatsächlich ein wenig selig. Und ich grinse. Auch selig. Du warst nicht nur rund 20 Zentimeter größer als ich, du warst genauso bekloppt. Wie ich. Manchmal hatte ich wirklich den Eindruck, dass dich nichts seliger hat selig sein lassen, wenn du dank deiner Größe recht bequem und mit leidenschaftlicher Hingabe meine Glatze abbusseln konntest. Wenn du mich in deinen Armen vergraben hattest. Hier und da mal kurz drüber geschleckt, und weiter gebusselt. Über meine Glatze und das genüsslich brummelnd und bis ich mich gackernd aus dir gespielt empört rauswinden musste, weil das immer so neckisch gekitzelt hat. Ich gackere. Tatsächlich. Und spür’s. Das Neckische. Und dass sie gut sind. Gedanken und Erinnerungen.

Vorgestern.

Vorgestern wollte mir zu Gedanken und Erinnerungen nichts einfallen. Nichts. Nichts außer dem was ist. Und, wie das ist. Ich stand da. Kalt. Nieselregen und alles grau. Das ist selten, war selten. An deinem Geburtstag hat eigentlich immer die Sonne geschienen. Sie hat so gestrahlt wie du, wie deine Augen frühmorgens und wenn du es nicht erwarten konntest rauszufinden, was ich mir wohl dieses Mal für dich ausgedacht haben könnte.

So hast du auch damals gestrahlt. Damals zu deinem 40. Frühmorgens und wie immer ein paar Tage am Meer, zu dieser Zeit. Wir und die Hunde. Du hast den ganzen Morgen gestrahlt. Mich den ganzen Tag angestrahlt. Und mich damit genervt. Ich konnte echt ein verdammt beschissenes Arschloch sein. Selten, aber wenn, dann richtig. Ich weiß echt nicht mehr, was in mich gefahren war. Miese Laune? Hatten wir am Tag vorher gezankt? Ich weiß nicht. Erst Abends, als dein Gesicht längst weit entfernt eines Strahlens war und ich endlich mal deinen traurigen Blick registriert hatte, wusste ich wieder, weshalb du meine Arschlochseite zurecht nicht ausstehen konntest. Und immer schweigsamer geworden bist. An diesem Tag.

Ich hatte deinen Geburtstag vergessen. Seit ewig und jedes Jahr fuhren wir genau zu dieser Zeit und deshalb ans Meer. Um deinen Tag zu feiern. Viele Jahre und immer wieder schön. Und ich hatte es vergessen. Dieses eine Jahr und so scheiße. Von mir.

Nein, der Tag war nicht mehr zu retten. Ich hab mich geschämt. Und gerade werde ich bei dem Gedanken daran wieder rot. Und schäme mich immer noch. Das hat mir so leid getan. So verdammt leid. Das tut mir immer noch so leid. Auch wenn ich noch 8 Jahre lang die Gelegenheit hatte, das wieder gut oder zumindest besser zu machen, gutzumachen war das einfach nicht. Wie konnte ich nur?

Wie konnte ich nur den wichtigsten, mir liebsten Menschen an seinem Tag vergessen? Wie jemals seinen traurigen Blick. Es gibt Bilder von diesem Tag. Und diesem Blick. Wir waren lange am Strand spazieren. An deinem Tag. Und ich hab ihn nicht gesehen. Dich nicht gesehen. Dich und deine traurige Enttäuschung.

Arschloch.

08:40. Ne, der Tag wird heute bestimmt nicht sonniger. Trübetassentag. Wenn der Hund mit leicht eingekniffener Rute nicht dosiert pinkelnd markiert, sondern gleich haltlos losstrullt und genauso flott in den nächsten Grasbüschel kackt, ist ihm usselig und ab Marsch wieder heim. Auch recht. Mir ist zwar nicht usselig, aber mir ist wehmütig. Bin schon seit 5 auf und wusel so rum. Langsam komme ich wieder in Fahrt und ins Kümmern. Putzen und so. Doch, so langsam komme ich auch wieder zurecht. Es geht ohne dich. Ich kann ohne dich. Wie sich das anfühlt, ist ne andere Sache. Aber auch da kann man lernen, sich zu arrangieren. Mit dem was ist, mit sich.

Das ändert aber nichts. Das ändert nichts daran, dass ich, dass wir in unserer Zeit auch Fehler gemacht haben. Dass wir wie die Kesselflicker streiten konnten. Mit Wut und Temperament. Und danach 2 Tage gegenseitig mit dem Arsch nicht mehr angucken. Manchmal. Und wenn keiner nachgeben wollte. Hitzköpfig. Und stur.

Und doch immer wieder zurück zum Grinsen. Und uns. Wir konnten streiten. Zickig sein. Kein Wort miteinander reden. Aber respektlos, oder grenzüberschreitend? Nein. Wir haben uns selbst im heftigsten Streit nie persönlich beleidigt, oder rüde titulierend beschimpft. Nein, nicht wir 2. Selbst wenn es Tage und Zeiten gab, in denen wir uns nicht ausstehen konnten, uns 2 haben wir dabei nie aus den Augen gelassen. Wenn was war und es darauf ankam, Wir zu sein.

Verzeihen.

Ich weiß nicht, ob du mir je diese Scheiße zu deinem 40. Geburtstag verziehen hast, verzeihen konntest. Seit dieser ersten Sekunde, damals im Januar weiß ich nicht mehr was Hoffnung, was Glaube ist. Aber ich hoffe so sehr, dass du es wenigstens ein bisschen konntest. Mir verzeihen. Mir und meinen Dämonen. Und dass ich es doch ein bisschen gut machen konnte. Ein bisschen wenigstens.

Gerade frage ich mich, wie du mit der heutigen Situation zurecht kämst, wie du mit der Pandemie, mit den Veränderungen, den zunehmenden Aggressionen der Leute da draussen umgehen würdest. Naja, eigentlich weiß ich das ja. Hab dich ja lange genug erlebt und erfahren. Wir konnten schon seit immer ohne Problem tage- und wochenlang auf kleinstem Raum zusammenhocken, ohne uns auf die Nerven zu gehen. Manchmal stundenlang ohne ein Wort miteinander zu reden. Jeder für sich beschäftigt und zufrieden. Und wenn wir uns mal zickig angezischelt haben, war das Ignorieren danach noch Mal so schön. Doch, wir hätten das heute schon gut hingekriegt. Wir 2.

Jetzt muss ich das ohne dich versuchen. Hinzukriegen. Krieg ich auch. Bestimmt.

Nein.

Dass es immer noch so weh tut, dass ich immer noch so traurig bin und immer noch losheulen kann, wenn ich auf eine bestimmte, bewusste Weise an dich denke. Dass ich einsam bin, ohne dich. Dass und dass und dass. Nein, das hat nichts mit nicht Loslassen können zu tun. Glaub mir. Ich hab dich losgelassen, musste dich loslassen. Ich wusste, dass es vorbei ist, dass du tot bist. Damals in diesem kalten Januar, damals als du dich auf deine letzte Fahrt aufgemacht hattest. Und ich dem Leichenwagen noch so lange hinterher gegangen bin, bis du verschwunden warst. Im Grau dieses Tages und für immer.

Ich hab dich losgelassen.

Es tut weh. Ich bin so traurig. Und ich kann immer noch schlimm losheulen, weil alles da geblieben ist. Alles was dich, mich und unser Leben ausgemacht und geprägt hat. Was aus uns Uns gemacht hat. In so vielen Jahren und Stück für Stück. Deine Liebe. Und meine. Das Vermissen, die Sehnsucht. Erinnerungen und Gedanken. Dein Lachen. Und deine Tränen. Du bist geblieben. Mit jedem Herzschlag weiß ich das. Spür ich das.

Und das alles behalte ich. Da in meiner Brust. Dich behalt’ ich.

Auch wenn ich dich loslassen musste. Passt schon, muss ja. Gedanken. Und Erinnerungen…

09:26. Monsieur Köter steht freundlich wedelnd vor mir und deutet mit dem ihm ganz eigenen Weiß im Auge an, dass ich doch mal eben bequem ins Leckerchenfach links neben mir im Regal greifen, und ihm das ein oder gleich mehrere gnädig zuwerfen könnte. Wenn ich diesem durchtrieben süßen Blick weiter so jämmerlich schwach nachgebe, hat der Hund bald so spacke Hüften wie ich. Der kann aber auch gucken, verdammt.

Gut, noch ein Mal.

Ich mach’ mir doch noch nen Kaffee und sinniere so vor mich hin. Witwerdasein. Seltsame Sache, echt. Was hab ich immer selig gegrinst, wenn ich bei irgendwas meinen Status angeben musste. Verheiratet. Das war schön. Ich war mit dem weltbesten aller Weltbesten verheiratet. Und jetzt? Verwitwet klingt immer noch ein wenig rüde. Ein wenig gemein. Das erinnert gleich immer, was Sache ist. Witwerdasein. Was man da so alles erlebt. Alles.

Witwerdasein.

Vorgestern morgen.

Hab ne Weile einfach nur da gestanden und genau dort hingestarrt, wo deine Urne ist. Ich weiß das ganz genau. Hab ich mir gemerkt. Genau da wächst auch dein geliebter Gundermann. Doch, du hast es hübsch. Selbst an so einem grauen und trüben Tag.

An deinem Tag.

Stand da und starrte. Merkte, wie es in mir zerrte. Manchmal möchte ich echt einfach die Luft anhalten und zu dir fallen. Für immer und wieder bei dir. Dann tut das so so scheiße weh, dass du da unten bist. Scheiße, ja. Loslassen ist das eine, damit zu leben, das ganz andere.

Das Bäumchen schlägt aus und im Sommer wird es schattig und im lauen Wind mit seinen vielen langen Zweigen und Blättern über dein Grab rauschen. Ich versuch’ schon, es dir heimelig zu machen. Und gemütlich. Bleibt ja nichts anderes übrig. Obwohl ich mir tatsächlich nicht vorstellen kann, dass du es da unten wirklich heimelig und gemütlich finden könntest. Du warst verfrorener als ich und vielleicht hör’ ich manchmal gar keinen Specht, sondern das Klappern deiner Zähne?

Nee, ist klar. Schrullig.

Plötzlich hab ich aufgehört zu starren. Plötzlich war es ganz still. Vorgestern und an deinem Tag. 52. Meine Fresse, wie gerne hätte ich dich jetzt erlebt. Reif. Und schön. Und du. Wie gerne. Plötzlich war ich dir zutiefst verbunden. Plötzlich hab ich ganz tief durchgeatmet und angefangen. Angefangen zu singen. Happy Birthday und so gut ich konnte.

Happy Birthday.

Mit jedem weiteren Ton, jeder weiteren Silbe konnte ich nicht weiter dagegen ankämpfen. Wollte ich auch nicht. Ich hab gesungen. Und hemmungslos dabei geheult. Ich lieb dich. Meine Fresse, was lieb’ ich dich. 52. Ich hab gesungen. Happy Birthday und so gut ich konnte.

Dein Tag. Vorgestern. Geburtstag.

Man macht im Leben wirklich Fehler. Immer wieder. Und manche lassen sich nicht mehr rückgängig machen. Schuldgefühle. Schämen. Wiedergutmachen. Wieder Fehler machen. Daraus lernen und die nächsten. Das Leben halt. Und hoffen. Auch wenn man dieses Hoffen nicht mal mehr buchstabieren kann.

Hoffen.

Verzeih mir.

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