13. april, schwulerwitwerdasein
13. april, schwulerwitwerdasein

13. april, schwulerwitwerdasein

„Mal von dem ganzen WehtunTraurigseinHeulmomente-Desaster abgesehen, weißt du wie blöd das ist, wenn mich auf dem Friedhof ne lustige Witwe anbaggert?“

Doch, du fehlst. Und manchmal macht mich das echt wütend. Dass du fehlst. Gestern Abend zum Beispiel. Weißt du wie nervend und blöd und albern das inzwischen ist, wenn ich auf irgendwas reagiere und Guck, Hör, Lies mal sagen will? Zu dir? Wenn ich bei irgendwas immer noch gewohnt zur Seite gucken und dich ansprechen will? Das nervt wirklich. Seit mehr als 3 Jahren kannst du gar nicht mehr antworten und irgendwo da in mir ist das wohl noch nicht angekommen. Oder ich bin ein besonders stoisches Gewohnheitstier und kann nach Jahrzehnten einfach nicht aufhören, mit dir quasseln zu wollen.

Weil ich’s so lange gewohnt war.

05:31. Langsam frage ich mich, ob das schon senile Bettflucht ist. Bin schon wieder putzmunter. Nicht frisch, aber munter. Egal wann ich ins Bett falle, egal wie viel Schlaf ich bekommen habe, morgens um diese Zeit macht es Klack, und ich wackel gen Küche und Kaffeeautomat. Guten Morgen.

Hab mir ne neue Senseo zusammengespart.

Die ist schick und flott und macht lecker Kaffee. Und ist ECO dazu. Oder ÖKO oder was weiß ich. Heizt ecomäßig nur die Kaffeeportionen auf, die man gerade haben möchte. Heißt, ich bereite wie immer die erste Tasse vor, schalte die Maschine ein und schleiche in Sachen Morgenpinkler ins Bad. Der Unterschied zur alten Maschine ist, dass die neue nach dem Aufheizen eigenständig und sofort das Käffchen in die Tasse brüht. Und das wiederum bedeutet, dass das kurze Nachnickerchen auf dem Pott neuerdings ausfällt und ich eiligst gen duftendem Tässchen eilen muss. So geht also Seniorenfrühsport.

Du fehlst, verdammt.

Ich hab bisher und seitdem du weg bist niemanden gefunden, mit dem ich so über alles reden kann, wie ich’s mit dir konnte. Dem ich alles sagen und anvertrauen kann, den ich alles fragen kann. Mit dem ich auf Augenhöhe diskutieren und streiten kann. Mit dem ich mich aufregen und echauffieren kann. Mit dem ich mich weinend leise und lachend laut austauschen kann. Über alles. Und immer.

Gestern Abend. Tagesschau. Ein bisschen Barnaby, schon gesehen, Hart aber Fair, gleich weitergeschaltet. Laber, Laber, Laber. Psychokrimis, der spacke Koch im Dritten, Arte trieft mal wieder vor Anspruch, zapp zapp zapp und bleibe dann tatsächlich auf SAT1 hängen. Promis unter Palmen. Nein, ich schäme mich kein Stückchen dafür. Ich musste gucken. So wegen über den Tellerrand gucken und so.

Ich halte mich ja selbst schon für ein bisschen doof. Aber ich glaube es gibt doof und doof. Und noch doofer. Dööfer? Ich meine, ich schwanke immerzu zwischen Belustigung und Grausen wenn ich mitbekomme, was heutzutage so alles seine tumbe aber perfekt durchgestylte Fresse in die Kamera halten darf. Und ich kann mich nie entscheiden, ob das putzig ist. Dass die gesamte Influencer- und RealityTV-Zumselbande durchweg nicht weiß, wer der aktuelle Bundespräsident ist – aber, ob sich Kim Kardashian die Ritze ihres fetten Arsches hat bleachen lassen, oder nicht. Putzig ist vielleicht der falsche Ausdruck.

Was hätten wir gelästert.

Naja, du weißt, dass ich nicht wirklich wütend auf dich bin. Wie könnte ich? Du lieber Freund. Aber ich hoffe du weißt auch, wie sehr du mir fehlst. Immer. Ich kann dich verstehen. Aber es war trotzdem nicht nett von dir. Mich allein zu lassen. Mal von dem ganzen WehtunTraurigseinHeulmomente-Desaster abgesehen, weißt du wie blöd das ist, wenn mich auf dem Friedhof ne lustige Witwe anbaggert?

Du kannst dein dämliches Feixen ruhig lassen.

Das Witwerdasein ist ja schon zuweilen richtig blöd. Fad und grau. Wenn ich wieder so richtig scheiße drauf bin. Und ich resigniere und mich frage, wo das alles noch hinführen soll. So ohne dich. Ohne das gemeinsame Altwerden. Und vielleicht Sterben. Man lebt sein halbes Leben lang zusammen und es ist irgendwie selbstverständlich, dass der Abend dieses gemeinsamen Lebens auch dazu gehören wird. Mit Begriffen wie selbstverständlich bin ich inzwischen auch vorsichtiger geworden.

Man lernt so viel im Leben. Erkenntnisse, Erkenntnisse, Erkenntnisse. Und dann?

Witwerdasein.

Kann man ja auch Singledasein nennen. Könnte man. Ich nicht, Ich war verheiratet und bin jetzt verwitwet. Punkt. Ich bin kein Single, ich bin Witwer. Alleinstehend kling auch so schlimm. Ich bin nicht alleinstehend, ich bin verwitwet. Und vor allem bescheuert. Egal wie man das jetzt nennt, oder besser, ich. Alles trifft zu.

Ich bin jetzt ein alter Knacker. Und du nicht mehr da. Muss jetzt das Beste daraus machen. Und das will ich auch. Ich leb’ ja noch. Und bis ich mal abkratzen muss, kann ruhig noch ein bisschen gehen. Mit mir und meinem Leben. Da habe ich auch wieder Lust drauf. Auf mich, und zu leben.

06:51. Witwerdasein. Ich grinse. Doch, das hat durchaus auch viele lichte, ulkige und auch rührende Seiten. Alles grau ist nicht. Nicht mehr. Die Nummer mit der vor Lust bebenden Witwe auf dem Friedhof war wirklich zum Piepen. Besonders als ihr gewahr wurde, dass da nicht meine verstorbene Ehefrau, sondern mein Ehemann begraben liegt. Flott war sie auch, die Witwe. Flott weg.

Und wir haben uns weggegackert. Nein, ich höre immer noch keine Stimmen aber ich weiß ganz genau, wie du gebrüllt hättest.

Dabei ist das gar nicht so lustig.

Ich bin nicht nur Witwer. Ich bin auch noch ein schwuler Witwer. Was wäre es doch einfach, dem wäre nicht so und ich hätte ne Witwe zum Poppen gehabt? So richtig schön hetero und mittenmang auf dem Land. Ich bekäme wieder regelmäßig Sex und was zu Essen. Ich könnte flirten. Und baggern. Und stenzig sein und alles im Dorf und Umgebung klar machen, was raschelnden Rock trägt. Das wäre was. Wenn ich hetero wäre.

Bin ich aber nicht.

Ich kann mich gar nicht erinnern, ob Schwul bei uns je wirklich Thema war. Wir sind uns begegnet, haben uns verknallt, uns geliebt, miteinander gelebt und Sex gehabt. Und dies und das und jenes und wieder von vorne. Und alles miteinander. Leben halt. Gemeinsam und zufällig 2 Männer. Stimmt, das nennt man schwul. War trotzdem nie Thema.

Ist jetzt auch kein Thema, aber ein Unterschied.

Ich könnte flirten. Und baggern. Und stenzig sein. Und alles im Dorf und Umgebung klar machen. Was Hosen trägt. Gerade jetzt, wenn der Frühling in der Buxe juckt. Mal ganz davon abgesehen, dass wegen der Pandemie gerade gar nix geht. Hier auf dem Land, im Dorf, laufen genug schnucklige Kerle rum und je mehr Frühling und je mehr Sommer es wird, umso kürzer und enger die Hosen. Und um so bedauernswerter ich arme ungeküsste und triefende Sau.

Hey, du bist tot. Ich nicht. Bei mir juckt noch was. Ich weiß, du verstehst was ich meine. Ist alles so komisch ohne dich. Wie neu. Neu lernen und erfahren. Plötzlich ist das irgendwie ein Thema. Das Schwulsein. So viele „normale“ alleinstehende Menschen sind schon so einsam und allein. Leben vergessen von der Welt vor sich hin, bis sie genauso vergessen sterben. Das ist schlimm. Und bevor mir jetzt wieder allzu bewusst wird, dass ich jetzt auch so Jemand bin und nicht mal ne Chance auf ne lustige Witwe habe, weil ich nun mal so bin wie ich bin, mach’ ich mir jetzt noch’n Kaffee und geh pinkeln.

07:32. Die Maschine ist echt cool. Ich sitze echt viel kürzer auf der Klobrille.

Witwerdasein.

Doch, inzwischen kokettiere ich auch damit. Oder nutze es aus. Beim Arzt. Banken oder Behörden. Ein kleiner Mitleidsbonus sitzt immer noch drin. Und man muss nehmen, was man kriegen kann. Wenn man was braucht oder will. Hatte ich nicht gelernt, das „man“ durch „ich“ zu ersetzen? Wenn ich was brauche, oder will. Nix gemein Berechnendes oder so, nein – manchmal muss man äh ich auf die Tränendrüse drücken, wenn’s nötig ist und ich etwas dringend will. Einen Impftermin zum Beispiel. Oder doch kein Knöllchen vom strammen Jungbullen, weil man doch eben vom Friedhof kommt und noch ein bisschen aufgewühlt die Geschwindigkeit übersehen hatte.

Ich Ratte, ich.

Ich schaff’s ohne dich. Ich schlag mich durch. Ich lieb’ dich für immer. Immer, immer, immer. Ich leb’ noch. Und ich will verdammt noch mal spüren, dass das noch so ist. Mit Allem. Nein, nicht noch mal verlieben. Das schafft niemand mehr. Das war das eine, dieses einzige eine Mal, so wie du mich angeguckt hast. Der erste Blick und für immer und so. Wieder mehr Geselligkeit, mehr auf Entdeckungen gehen. Wieder die Dinge tun, die mir Spaß gemacht haben. Dinge tun, die ich noch nie gemacht habe. Verdammt noch mal, leben halt.

Ich weiß, dass du zustimmend nickst.

Ich weiß, dass du mir damit nicht weh tun wolltest. Ich weiß, dass du an nichts anderes mehr denken konntest. Damals. Ich weiß. Und ich weiß, dass du das nicht wollen würdest. Dass ich daran zugrunde gehe. Daran, dass mein Herz nunmal zerbrochen ist, dass ich gebrochen bin. Seitdem. Ich weiß, dass du mich weiterleben sehen willst. Und wieder so sehen, wie ich bin, wie ich mal war.

Willst du das? Oder ich?

Woher weiß ich, dass du das willst? Du bist doch tot. Bin ich irre und leb’ mit dir in einer eigenen Scheinwelt? So weit kommt’s noch. Selbstgespräche hin und her, Schrulligkeiten und schräge Macken dazu und selbstverständliches Einbeziehen in meine Alltagsfragen inklusive, wenn ich Rat brauche. Es ist so einiges mit mir passiert, seit das mit dir so ist. So einiges. Aber durchgeknallt bin ich nicht. Auch wenn das vielleicht in Sachen Wunder ein Wunder ist.

Ich will gerade gar nicht davon anfangen, was ich alles an Qualen und Pein durchgemacht habe, um zu begreifen. Zu verstehen. Zu lernen, damit zu leben. Ne, trotz allem und wie immer ich da auch wieder einigermaßen rausgekommen bin, ich bin gottseidank nicht durchgeknallt.

Mit allem anderen kann ich leben. Und das sogar wieder gerne. Auch grinsend. Und manchmal halt auch scheiße tieftraurig und heulend. Kannst du dich erinnern? An die beiden Alten aus der Muppet-Show? Was hatten wir bei dem Gedanken Spässken, im knorrigen Alter wieder in der Stadt zu wohnen und lästernd gackernd auf unserem Balkon Straßenseite die Leute da unten zu verkackeiern. Erinnerst du dich?

Jetzt hab’ ich ne Riesenterrasse und bin nur noch eine Hälfte von den knorrigen alten Knackern. Blöd gelaufen.

Jetzt sitze ich wie gestern Abend erstarrt glotzend von der Faszination des Grauens in Sachen Trash-TV und palmende Promis auf dem Sofa und weiß nicht wohin mit meinen boshaften Lästereien. Zum Beispiel, wann ist der ehemals so ehrwürdige Begriff „Prominent“ eigentlich in den Scheißezuber geknallt und da nie wieder rausgekommen? Wohin mit meinen Lästereien?

Wohin mit allem in diesem meinem Witwerdasein?

Muss echt noch/wieder viel lernen. Aus der Bahn geworfen. Vom Weg abgekommen. Wie immer man das auch alles nennt was passiert, wenn das passiert was uns, was mir passiert ist. Es geht weiter. Und wenn das schon so ist, warum nicht nett weiter? Zumindest wieder heller. Und freundlicher und spaßiger. Gerade wenn man weiß, wenn ich weiß wie das ist. Mit dem Leben. Und dem Tod. Wie das ist, wenn die Hälfte deines Seins weggerissen wird. Und die Wunden nicht heilen wollen. Es geht trotzdem weiter.

Tatsächlich geht es weiter. Trotzdem.

Tatsächlich hat es etwas Erschreckendes. Das Bewusstwerden, dass man wirklich nur dieses eine Leben hat. Und dass es tatsächlich schneller vorbei sein könnte, als man gucken kann. Wie ärgerlich wäre es doch, genau mit dem Wissen nicht zumindest versucht zu haben, noch ein bisschen hübsch zu leben? Bevor es Zack macht?

Muss man, musste ich auch erst mal drauf kommen. Ich war so lange genauso tot wie du. Nur dass ich noch rumlaufen konnte. Ich lauf immer noch rum. Nicht mehr so schnell aber nicht mehr tot. Lebend wird sich noch zeigen.

08:21. Die Sonne scheint. Wie schön. Ich liebe den Morgen. Das ist doch Leben. Ne, ich bin nicht tot und gut, dass ich das noch gemerkt hab. Ich hab noch viel zu tun. Mit dir. In Sachen Verkraften und Verarbeiten. In Sachen Leben. Ohne dich. Ich bin so froh, dass ich meine Gedanken endlich wieder aufschreiben kann. Sie loswerden kann. Dass ich von dir erzählen kann. Von uns. Von mir. Dass ich wieder sprechen kann. Dass ich’s rausschreiben kann.

Wie das so ist. Das alles. Wie das so ist, das Witwerdasein. Mit dem Frühling, den Röcken und den Hosen. Und mit Abenden auf der Couch. Wie das so ist.

Ohne dich.

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