„Hab gerade beim Zähneputzen die Buxe runtergelassen und meine filmreifen Hämatome im Spiegel bewundert. Echt prächtige Dinger. Die tun gar nicht weh. Die leuchten nur im tiefsten Blau.“
Unser Tag.
Heute ist unser Tag. Schon zum 26. Mal. Heute ist schon der 4. davon ohne dich.
6:38, Ostersamstagmorgen. Das ist jetzt auch schon der 4. Doch, man gewöhnt sich tatsächlich an alles. Auch an die Stille. Daran, dass kein Meeresrauschen mehr langsam in die Ohren dringt, wenn man just aufgewacht ist und herzhaft gähnend in die Bettrunde guckt, ob auch noch alle da sind. Die 2 Hunde.
Und du.
Uns hat es seit immer jedes Jahr für ein paar Wochen an unseren Lieblingsort gezogen. Im Sommer sowieso und manchmal auch im Herbst. Und immer die ersten Apriltage. Wir konnten uns gar nichts schöneres, nichts selbstverständlicheres vorstellen, als unseren Jahrestagabend eng aneinander und unter ner Decke gekuschelt auf unserer Lieblingsbank am Meer zu verbringen. Kichernd. Philosophierend. Beklopptes Zeugs labernd. Knutschend. Glücklich und breiter als alle Flundern dieser Welt.
Tage am Meer, die nur uns gehörten. Ohne Stress und Alltag, ohne andere Leute. Nur wir und all das, weshalb es dieses Wir gab.
7:41. Hab gerade beim Zähneputzen die Buxe runtergelassen und meine filmreifen Hämatome im Spiegel bewundert. Echt prächtige Dinger. Die tun gar nicht weh. Die leuchten nur im tiefsten Blau. Buxe wieder hoch.
Dann hab ich mich selbst angeguckt.
Im Spiegel. Normalerweise vermeide ich das. Ich vermeide es mir selbst in die Augen zu gucken. Ich fühle diese Traurigkeit jeden Tag, sehen muss ich das nicht auch noch. Hab mich angeguckt. Und kurz hab ich deine in meinen Augen gesehen. Nein, nix gruseliges, esodingenmäßiges, nein, das war so ne Art Erinnerungsblitz. Der erste Blick.
Dieses „hab mich verschossen“ wird mir eigentlich erst jetzt richtig klar. Du drehst dich um und fängst zufällig einen Blick ein und Bääääm, schießt dieser Blick durch alles was du bist und was dich ausmacht. Einmal rein und durch alles durch und wieder zurück und umgekehrt. Jede Faser deines Körpers ist auf Empfang und gleichzeitig auf Alarm gestellt.
Letztens bin ich beim Zappen in einem wirklich hübschen „Jugendfilm“ hängengeblieben und hab das „sich verlieben“ der Protagonisten selig genossen. Verlieben ist schön. Und lieben erst recht. Und ich war ein bisschen neidisch. Im Film ist irgendwann ein Satz gefallen. Der wäre mir gerne für dich eingefallen. Den hätte ich gerne nur für dich geschrieben.
Dieses „…du bist wie ich, nur in Schön“ hat mich gerissen. Ein einfacher kleiner Satz, nicht mal was besonderes aber alles sagend, was der Beginn von allem ist; Liebe und Vertrauen.
Der erste Blick hat oft mit Sex und kurzen Leidenschaften zu tun, mit Verliebt sein und Spaß haben. Das Leben halt und soviel davon, wie geht. Hab mich ständig verguckt. In meiner Stoß- und Drangzeit. Und schwupps, ist Omma wieder dazwischen. Außer von ihr hab ich das noch nie von jemanden anderem sagen hören. Stoß- und Drangzeit.
Mag sein, dass ich mich mit meinen Anfang 30 genug durch die Gegend gestoßen hatte, mag sein, dass es jetzt genau der richtige Zeitpunkt, dass es kein Zufall war, als mich dein erster Blick eingefangen hat. Samstagnacht, Disco und ich war besoffen. Was sonst. Die Schwulenszene ödete mich schon lange an und ich hatte immer seltener Bock, auszugehen. Aber bitte, das mit dem Geil sein ist ja auch so ne Sache, die nicht vernachlässigt werden möchte. Damals, in den Ardennen.
8:28, doch, ich grinse. Und es fühlt sich schön an. An dich zu denken. An deinen ersten Blick. Ich glaub ich war von jetzt auf gleich stocknüchtern. Durch Mark und Bein, oder so. Da war er tatsächlich. Dieser erste Blick, den es nur 1x gibt. Und dann für immer. Ja, ich erinnere mich wie das war. Als du mich das erste Mal angeguckt hast. Und seitdem nicht mehr aufhören konntest, mich anzugucken.
26 Jahre.
Seit 26 Jahren habe ich nie wieder jemanden so angeguckt, wie dich.
Doch, Tage wie dieser reißen mich. Daran wird sich auch nichts ändern. Seit ich erkannt habe, dass es für immer weh tun wird, dass ich dich für immer vermisse, dass es mit dem Lieben und der Sehnsucht auch niemals aufhören wird. Dass es niemals mehr aufhören wird, in mir traurig zu sein. Dass du so fehlst.
Seit ich das verstanden habe, nicht mehr verdränge oder dagegen ankämpfe geht es mir besser.
Hab wieder angefangen, zu leben. Ohne dich und so gut es geht. Ist nicht immer leicht und manchmal auch zum Piepen komisch, wie ich nach so vielen Jahren mit dir jetzt versuche, meinen Alltag ohne dich hinzukriegen. Ich lache wieder. Aus vollem Hals und am liebsten immer noch über mich und meine Trotteligkeiten. Und ich liebe es zu wissen, wie du dich weg gackern würdest. Über mich und meine Trotteligkeiten.
Doch, es geht ohne dich. War ne harte Nummer bis heute und ich bin kaputt und ausgelaugt. 3 Jahre und ein paar Monate. Nur? Schon?
3 Jahre, ein paar Monate und unser 26. Zusammenseintag. 4 davon jetzt schon ohne dich. Doch, ich kann immer noch losheulen, wenn ich an dich denke. Wenn ich wieder fühle, wie weh das tut. Dass du tot bist. Ich kann da nichts gegen machen. Es ist ja auch so. Du bist tot und es tut weh.
8:56, wir wären schon am Strand mit den Hundis unterwegs. Ich bin seitdem nie wieder an unserem Ort gewesen. Und ich schätze, das bleibt auch so. Manche Schmerzen lassen sich vermeiden. So gut es geht. Ich hab jedes einzelne Bild in meinen Erinnerungen gespeichert, jeden Geruch, jedes Geräusch. Alles, was diesen Ort und uns ausgemacht hat, alles, weshalb wir nur dort unseren Zusammenseintag zelebrieren und erleben wollten. So viele Jahre und nur für uns. Das genügt. Und tut weniger weh.
Erträglicher ist es geworden. Und wieder sonniger. Und jeden Tag ein bisschen mehr. Und manchmal auch wieder ein bisschen weniger. Leben halt. Ich halt.
Das Leben ist absurd. Und schön. Und spannend. Das Leben ist zu einmalig, als dass mir dafür schwülstige Kalendersprüche einfallen könnten. Das Leben warst du. Ganz einfach gesagt. Niemand den ich je kannte hat das Leben so geliebt und gelebt, wie du. Und der seine Freude am Leben so liebend gerne an andere weitergegeben hat, wie du. Niemand sonst.
Warum du trotzdem tot bist?
Weil Dämonen nichts vom Leben wissen.
Ist auch ne Erkenntnis, die mein Leben leichter macht. Und tatsächlich erträglicher. Und wieder bunter. Und bekloppter und sowieso,
Glückwunsch zum 26.
