30. märz, bastard
30. märz, bastard

30. märz, bastard

Wenn ich diese verdammten 500 Euro nicht so verdammt nötig für die noch nicht gezahlte Miete gehabt hätte, hätte ich ihr die 10 feinsäuberlich zusammengerollten 50E-Scheine in den verlogenen Rand gestopft.

Ist erst 3:39 und ich bin schon munter. Naja, zumindest wach. So langsam gewöhnt sich mein Körper an die fetten Stents in meiner Aorta, da tief unten in meinem Wohlstandswanst. Zwar immer noch erhöhte Temperatur plus Schüttefrost, zwar immer noch Schweißausbrüche und nasse T-Shirts. Aber irgendwie scheint es langsam abzuflachen. Der Tag, an dem ich nix mehr von der Tortur merke, ist der meine.

Ich hab genug von Schmerzen. Mehr als genug.
Aber sie kommen trotzdem, wann immer sie wollen. Verlustschmerzen? Seelenschmerzen? Wundschmerzen. Schmerzen.

Egal welcher Art. Ich hab genug.

Trotzdem.

Wenn ich an die Schmerzen denke, die ich vergangenen November hatte, wird mir immer noch flau. Bis dahin war in den letzten Jahren genug Scheiße durch meine Leben geflossen, und ich hätte nicht gedacht, dass da noch ein weitere Container an Scheiße auf mich warten würde. Mir ging es schon wesentlich besser und ich war frohen Mutes, auf das was da noch kommt.

4:00, zweiter Kaffee. Der Hund schnurchelt zu meinen Füßen. Treuer kleiner Kerl. Und mein Lebensretter. Manchmal frage ich mich, ob er dich vermisst, ob er überhaupt gemerkt hat, dass du plötzlich nicht mehr da warst. Hab ihn weggesperrt, damit er nicht sieht, dass du da liegst und nicht mehr „Pöppesmänneken“ sagen wirst. War besser so. Mich konnte ich nicht wegsperren.

Die Bilder von damals, alles, kommt jetzt nach 3 Jahren zunehmend zurück ins Bewusstsein und ich erinnere mich langsam wieder. An diesen kalten und grauen Januartag. Ich erinnere mich und schiebe es wieder weg. Zu früh. Immer noch. Ob es jemals nicht mehr zu früh sein wird, sich zu erinnern?

Ich seh mich hier im Haus um, knapp 75qm, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Bad plus Garten und Riesenterrasse und ich erinnere mich, wie wir selbst auf engstem Raum ohne Probleme miteinander sein konnten und happy und zufrieden waren. Dies Haus wäre ideal für unseren gemeinsamen Lebensabend gewesen. Und jetzt sitze ich hier alleine und hab so lange gebraucht zu raffen, was für ein Glück ich damit hatte – und dass ich es jetzt schön habe.

So lange nichts wert, ohne dich. Vorbei.

Ich frage mich, wie du letzten November reagiert hättest. Und seh dich gerade, wie du das DNA-Dokument studierst und das Ergebnis siehst. Und wie du mich ungläubig anguckst.

Irgendein Tag im November.

Schon seit einigen Monaten treffe ich mich mit ihm. Wir wollen uns besser kennenlernen und er will Erbfragen klären. Es geht nicht um Millionen, aber um ein gutes, sorgenloses Auskommen im Alter. Für mich. Ich bin sein Sohn. Er mein leiblicher Vater. Wir hatten, bis auf einige Begegnungen im Laufe der Jahrzehnte, rein gar nichts miteinander zu tun. Hat sich einfach nie ergeben, was aufzubauen und mein Drang ihn als Vater kennenzulernen, hielt sich in Grenzen. Ich hatte schon einen Vater, der dann plötzlich zum Stiefvater wurde, aber immer mein Papa geblieben ist.

Ein alter, kleiner leicht hutzeliger Opa ist er, mein Vater. Altersbedingt auch schon ein bisschen tattrig und unkonzentriert, wusste er trotzdem genau was er von mir wollte. Ich hab mein ganzes Leben lang niemals daran gezweifelt, wer mein Vater ist. Mama hat’s schließlich bei meiner Geburt beim Jugendamt angegeben und er hat die Vaterschaft angenommen. Wozu also Zweifel? Doch, wir haben uns die letzten Monate vor diesem November gut verstanden. Haben aus unserem Leben erzählt, immer wieder Ähnlichkeiten festgestellt. Und uns darüber beömmelt, dass wir beide 1. diese immer leicht geröteten Pausbacken und 2. exakt die gleichen eher kleinen Patschhändchen haben.

Kein Zweifel.

04:55. Der Hund galoppiert gerade durch den Garten und jagt die fette Nachbarskatze. Hoffentlich bellt er nicht brüllend los und weckt den Nazi-Nachbarn. Der will dann den Hund wieder mit ner Schrotflinte eleminieren, diese Drecksau. Wenn der mal tot umfällt bin ich nicht traurig. Katze erfolgreich verjagt und das völlig geräuschlos. Cooler Köter!

November.

Ich hab niemals gezweifelt. Er schon. Wir sind ehrlich miteinander gewesen und ich hatte Verständnis dafür, dass er nach 58 Jahren Gewissheit haben wollte. Und weil ich so sicher war. Nein, ich war nicht geil auf meinen Erbanteil, er stand mir einfach zu. Aber ich hab mich gefreut, dass es mir finanziell bald besser gehen wird. Ich bin zutraulich ihm gegenüber geworden und fing auch an, Gefühle zu entwickeln. Ob es „Sohngefühle“ waren? Eher nicht. Eher so ne Verbundenheit gepaart damit, dass er wirklich ein interessanter und bunter Mensch ist und ich war fest davon überzeugt, dass ich meine kreativen Anwandlungen von ihm habe.

Habe ohne großes Nachdenken zugestimmt.

Gerade schießt wieder dein ungläubig entsetzter Blick zu mir rüber, weil du nicht weißt, was du sagen sollst. Du bist echt immer noch an meiner Seite. Ist auch ganz gut so. Bewahrt mich vor so manchen unsinnigen Dingen. Aber nicht vor allem. Ich rede mit dir, frag dich um Rat und bekomme Antworten. Nein, ich hab jetzt plötzlich nicht jemanden imaginären wie Harvey neben mir laufen. Du bist tot und natürlich nicht mehr da.
Aber in mir sind all unsere Jahre, gemeinsame Erlebnisse, Erfahrungen und vor allem Du, wie du warst, gedacht und gefühlt hast – und was du sagen und tun würdest, wenn. Das ist es, was du jetzt bist. Für mich.

Knapp 3 Wochen vorher waren mein Vater und ich zum DNA-Test in der Uni und hatten Spaß beim Testabstrich. Nachdem wir uns nun schon besser kannten und uns tatsächlich nett fanden, hatte er gar nicht mehr so arge Zweifel. Trotzdem. Seine Frau, die auf dem Geld sitzt und ebenfalls immer gezweifelt hatte, wollte diesen Test unbedingt.

Haben wir halt dann gemacht und 3 Wochen bis zum Ergebnis gebibbert. Ich auch. Die Zweifel anderer kann ansteckend sein. Als ich an diesem Novembertag den Brief der Uni öffnete und das Ergebnis las, bin ich tatsächlich filmreif und ohne es zu wollen, ganz langsam in die Knie zu Boden gesackt und dachte, gleich biste tot.

Ich hatte vergessen, weiter zu Atmen und mir wäre fast mein Mageninhalt in die Luftröhre gelaufen, als ich dann gleichzeitig gekotzt und geatmet habe. Starrte auf diesen Scheißzettel, verglich die Tabellen mit den nicht übereinstimmenden Werten und immer wieder, dass eine Vaterschaft zu 99,9% ausgeschlossen werden kann.

Währenddessen hatte der Hund angefangen, am anderen Ende der Küche meine Kotze aufzuschlabbern. Was für eine willkommene Ablenkung. Iiiiiiiih gekreischt, sauber gemacht, raus in der Garten, tief durchatmen.

Seit du nicht mehr da bist, ist vieles passiert, hat sich vieles verändert und ist nicht mehr das Selbe, wie mit dir. Ich war noch nie ne Heulsuse. Jetzt bin ich eine. Und du bist das schuld. Es war gemein von dir, als ich das erste Hack für Bolognese nach deinem Tod gekauft habe, und ich dein vorfreudiges Schmatzen aufs Abendessen gleich neben mir hören konnte. Sie liefen einfach los. Die Tränen flossen ohne mein Zutun, und flossen und flossen und flossen. Ich tat so als wäre nix und versuchte den mitleidigen Blick der Kassiererin zu ignorieren. Und sie flossen.

Bin so manches Mal morgens aufgestanden, es war nix, alles gut, noch keine Gedanken im Kopf und verpennt den 1. Kaffee gemacht. Es war nix. Und sie flossen. Beim ersten Mal stand ich fassungslos da. Ich hab gar nicht geheult, war nicht mal in der Nähe dieses Gefühls und trotzdem, die Tränen liefen wie bekloppt. Um dich. Dabei hatte ich nicht an dich gedacht. Die geschundene Seele kann ein Miststück sein.

Der Mann der zeitlebens mein Vater war, war gar nicht mein Vater. Und jetzt würde ich auch nie erfahren, wer es wirklich ist. weil Diejenige die es wissen müsste, auch schon 2 Jahre tot ist. Glück gehabt.

Das Durchatmen hatte nicht viel geholfen. Mir war schlecht. Ich zitterte am ganzen Körper, hab die schlimmsten Flüche gegen meine Mutter ausgestoßen und plötzlich gemerkt, dass damit auch das Erbe futsch ist. Kein leichteres Leben ohne tägliche Sorgen, wie ich das Nächste bezahlen soll. Nix mit Kino, oder mal Restaurant, oder endlich mal ein paar neue Anziehsachen und, ne neue Brille. Ich seh nix mehr, aber vielleicht ist das ja sogar besser so.

Gesehen hab ich dann, wie sich sein Verhalten und das seiner Frau radikal gewandelt hatte. Eingeladen auf ein klärendes Gespräch, waren die Beiden eine Spur zu freundlich und zu nett, und ich wusste nicht wie mir geschah. Ich saß bei meinem Vater, der nicht mein Vater war, wurde lecker beköstigt.

Und zugeschleimt.

Huch, 6:06 Jetztzeit

Doch, inzwischen grinse ich über die skurrile und offensichtliche Situation. Abstand ist alles. Trotzdem, deep inside ist darüber immer noch jemand sehr wütend. Aber leck mich, ich muss ganz Anderes aushalten.

Plötzlich stand seine Frau zuckersüß lächelnd vor mir, nahm meine Hand und drückte mir 500 Euro mit dem Hinweis in selbige, dass ich mir dafür den Kühlschrank voll machen soll. Es wäre ja schließlich bald Weihnachten. Und strahlte mich dabei sehr gönnerhaft an. Nein, ich wollte keinen Nachschlag. Ich hasse Tomatensuppe.

Ich wollte nix wie weg.

Ich bin ein Trottel. Aber ich bin nicht dumm. Und ich hab nen Riecher, wenn Menschen falsch sind. Er, der Nichtvater kann nichts dafür, ihn hat das genauso überfordert und er ist auch nicht so. War genauso geschockt, wie ich. Wir haben sogar ähnliche Augenpartien. Scheiße.

Sie war kalt und berechnend und hat mich furchtbar zugeschleimt. Dass sich doch nichts ändern würde, nur wegen so nem blöden Test. Wir sind doch eine Familie und bald hast du ja auch Geburtstag, da kommen wir zu dir.

Sehe ich eigentlich doof aus?

Wenn ich diese verdammten 500 Euro nicht so verdammt nötig für die noch nicht gezahlte Miete, statt für Kühlschrankfüllung, gehabt hätte, hätte ich ihr die 10 feinsäuberlich zusammengerollten 50E-Scheine in den verlogenen Rand gestopft. Junge, wenn du sein Sohn bist, woran ja niemand zweifelt, zahle ich eure Schulden die du und dein Ehemann gemacht haben und du kriegst auch schon was aus deinem Erbanteil, damit du dir mal was leisten kannst. Und dann kommst du uns auch mal am Rhein besuchen.

Es gibt Jemanden, die in das alles ebenso stark eingebunden und ebenso entsetzt ist. Bis zu diesem Novembertag waren wir Bruder und Schwester.

Ihr wurde dann ohne Schleim und Maske mitgeteilt, dass 18 Jahre Unterhalt und ein paar finanzielle Zuwendungen im Laufe der Jahrzehnte doch wohl mehr als genug für einen Bastard sind. Es gibt nichts zu erben und seine Schulden gehen mich auch nichts an. Fertig.

Es wäre wirklich schön gewesen. Aber geht es wirklich ums Erbe?

Es ging um mich.

Um mich und wie sich die Erkenntnis anfühlt, keine biologische Quelle mehr zu haben, keinen Vater mehr. Mit jetzt 59. Bedauerlich, dass wir diesen DNA-Test nicht schon Jahrzehnte vorher gemacht haben. Als sie noch lebte und ich noch Kraft genug gehabt hätte, zu suchen. Vorbei.

6:43, das Vogelgezummsel da draußen in den Hecken und Bäumen ist in flötigster Bumslaune und ich muss kichern. Gut, dass das kein Bauchschnitt sondern ein minimal-invasiver Eingriff geworden ist. Son Bauchschnitt bis tief unten, zerstört immer die Nerven fürs sexuelle Empfinden und ab dann nur noch miese Laune. Was ich für ein Glück hatte.

Ich und bumsen, pruuuuusterchen.

Es geht um mich und wie ich damit umgehe. Bin ich weniger wert, nur weil ich ein „Bastard“ bin? Hat dieser Mann je meinen Lebensweg auf irgendeine Weise beeinflusst oder geprägt? War ich das nicht selbst? Wenn’s und Abers. Ich glaub ich fühl mich nicht schlechter, dass es jetzt so ist. Kann man nicht ändern, nicht weiter dran rumackern. Hab wieder was gelernt. Fürs Leben. Und wie Menschen sein können. Was sie einem antun können.

Übrigens, danke Mama.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert