16. märz, anfang
16. märz, anfang

16. märz, anfang

Vielleicht hab ich Scheiße gebaut und es geht nicht gut. Vielleicht hab ich Scheiße gebaut und es geht trotzdem gut – und ich hör danach auf, Scheiße zu bauen?

6 Uhr morgens, der Morgen dämmert und die Vögel zwitschern. Munter und fröhlich und der krasse Gegensatz zu dem, der hier gerade schreibt.

Bin schon wieder seit ewig wach, hab wie immer kaum geschlafen und mach’ mal wieder die Nacht zum Tag. Ich hasse das. Aber es passt inzwischen zu mir und zu dem, wie ich lebe. Naja, leben ist ein großes Wort. Ich bin noch da, und versuche so gut es geht damit umzugehen. Und das Beste daraus zu machen.

Ich weiß, das klingt furchtbar Scheiße und ist destruktiv. Und das ist es auch. Nein, das ist nicht immer so. Seit mehr als 3 Jahren kämpfe ich mit mir und meinen Dämonen und mit dem, was passiert ist. So lange war es mir egal, ob und wie ich noch lebe, oder anders gesagt – selbst dieses Egal war so egal, weil ich es war. Für mich.

Ist schon was besonderes, wenn man tatsächlich die große Liebe erlebt und sie so lange leben darf, wie ich es durfte. Liebe zu diesem einen Menschen, diesem einen. Und der deine Liebe genauso stark erwidert, und der auch dein Freund und Vertrauter ist. Für so viele Zeiten und Jahre.

Und dann plötzlich, von jetzt auf gleich.

Es kommt in mir hoch, wie immer, wenn ich daran auf eine ganz bewusste Weise denke. Wenn ich an dich denke und daran, dass du nicht mehr da bist. Dass du tot bist. Seit 3 Jahren und von jetzt auf gleich. Und wie das für mich war und ist, und wie ich versuche damit umzugehen.

Und wie sich das anfühlt, seit du nicht mehr da bist.

Seit 3 Jahren und es ist 06:41, Dienstag der 16. März und ich kann immer noch nicht darüber schreiben, ohne dass mein Herz schneller schlägt, ohne dass es in meiner Brust anfängt zu brennen. Und ohne dass ich drohe, schon wieder zu flennen. Auch dass hasse ich. Nein, nicht dass ich immer noch um dich weine, dass meine Trauer, meine Traurigkeit nie aufhören wird – und dass es so weht tut, weil du nicht mehr da bist.

Nein, ich hasse diesen Zustand. So verdammt lange Zeit und es hat mich alles an Energie und Kraft gekostet. Was ist Schlaf? Was Essen? Raucht man trotz überstandenem Lungenkrebs und einer COPD-Diagnose wieder wie ein Schlot? Kifft man sich dämlich und blöde, nur um zuweilen etwas weniger Schmerzen zu spüren, für ein paar Momente Friedlichkeit? So oft so müde.

Seit 3 Jahren bist du nicht mehr da, seit 3 Jahren war ich auch nicht mehr da und bis vor ein paar Wochen dachte ich, dass es wieder aufwärts geht – auch ohne dich. Dass ich trotz allem noch mal ein bisschen was für mich tun kann, ein bisschen was Hübsches machen kann, in und mit meinen Leben. Mit mir und dem, was mich mal ausgemacht hat und ruhig wiederkommen könnte. Du bist tot, ich nicht. Hatte ich vergessen.

Jetzt ist seit ein paar Wochen noch ein anderer Mensch tot, den ich geliebt hab und der immer in meinem Leben war und sich auf die gleiche Weise aus dieser Welt verabschiedet hat, wie du. Wie sich das liest… Aber daran merke ich, wie mein Schutzschild funktioniert, wie ich es durch die „Erfahrung“ mit dir jetzt schaffe, einigermaßen tapfer bei dem Gedanken zu bleiben, dass meine kleine Schwester jetzt auch einfach weg ist. Nicht genauso abzukacken wie bei dir.

Es tut scheiße weh und alles was mich an Gedanken, Fragen und Schuldgefühlen bei dir beschäftigt und gequält hat, tut es auch bei ihr. Anders, aber auch. Ich kann damit aber ein wenig besser und tapferer umgehen, so weh es auch tut. Und mir hilft die Wut. Die Wut auf das, was euch verschwinden lassen hat. Dann weiß ich wieder, dass ihr nichts dafür könnt und dass ihr niemandem weh tun wolltet. Trotzdem habt ihr das. Ihr habt’s.

Ich schweife ab.

07:03 und mir ist übel. Heute Mittag hab ich einen Termin zum Vorgespräch mit einem Professor, weil es um eine bevorstehende Operation geht. Und die Frage, ob Bauchschnitt oder Minimal-Invasiv. Um viele Fragen, um Antworten. Und beides will ich gar nicht. Aber ich muss. Zumindest heute erst mal das Vorgespräch absolvieren. Dann weiß ich mehr und bin vielleicht etwas beruhigter. Oder noch nervöser.

Unfassbar.

Fast 3 Jahre ist es mir scheißegal, ob ich noch lebe oder ob mir was passiert – und jetzt steht womöglich was Entscheidendes an, und Egal ist nicht mehr egal. Vielleicht weil ich trotz allem aber gerade jetzt neuen Lebensmut gefasst hab? Weil ich wieder neugierig bin? Scheiße.

Muss mich beruhigen und sachlich bleiben. Bei den Fakten bleiben und hoffen, dass alles gutgehen wird. Vielleicht hab ich Scheiße gebaut und es geht nicht gut. Vielleicht hab ich Scheiße gebaut und es geht trotzdem gut – und ich hör danach auf, Scheiße zu bauen? Doch, ich muss mich beruhigen.

Komisch ist das.

So lange so still. So lange Sprachlosigkeit. Und plötzlich ist es, als würde in mir eine Bombe platzen und alles muss raus. Egal wo hin aber Hauptsache raus.

Hauptsache raus…

7 Kommentare

  1. Sigi

    Es tut immer weh, geliebte Menschen zu verlieren. Aber auf diese Weise ist es sicher besonders schmerzhaft. Und ich stelle es mir sehr schwer vor, in diesen Fällen die eigenen Gefühle zu sortieren. Von Trauer über Wut auf sich selbst und den, der gegangen ist bis hin zu Schuldgefühlen, weil man es nicht verhindern konnte. Ich denke, das macht die Verarbeitung noch komplizierter als sie eh schon ist.

    1. Dankeschön, Silke, freut mich sehr, dass dir mein Geschreibsel gefällt! 😉 Ja, der Termin ist gutgegangen, nix den Schüürmann noch mal aufschneiden, diesmal minimal-invasiv. Macht die Sache an sich zwar auch nicht leichter, aber immerhin ne angenehmere Technik, woll. 😉 Dankeschön, und komm mal wieder vorbei! 😉

  2. Dodo

    Ach Micha,

    deine Worte springen mich richtig an. So viel Leid ist echt zuviel für einen alleine. Liebesgefährten ersetzt keine Zeit. Schwesterherzen schlagen auch in Brüderbrüsten.

    Schreib weiter!

    Schlaflosgrüße

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