„Willi wundert sich…“
Wie fast jeden späten Nachmittag, außer Sonntags, schaut Willi auf die Uhr und macht sich auf den Weg zur Bäckerei auf der anderen Straßenseite, um sich fünf Brötchen für den Preis von drei zu kaufen. Es ist jetzt nicht so, dass Willi alle fünf Brötchen auch immer isst, aber fünfe für den Preis von dreien kann man sich nicht entgehen lassen – und Willi schon mal gar nicht. Was übrig bleibt, wird entweder zu Paniermehl geschrubbelt, oder an die Enten und Gänse im Park zwei Straßen weiter verfüttert. So denkt und ist Willi nun mal – und seit ihm seine Gertrude vor zwei Jahren weggestorben ist, denkt Willi sowieso ganz anders über die Dinge des Lebens und sich.
So wie heute.
Da steht Willi am Straßenrand und ist leicht ungehalten, dass da plötzlich so ne ellenlange und hupende Autokarawane an ihm vorbeizieht – und er überhaupt keine Möglichkeit hat, die Seite zu wechseln, so viele hupende Autos sind das, die ihm den Weg versperren. In jedem dieser mit Blumen und Firlefanz geschmückten Autos sitzen mindestens drei fein herausgeputzte Leute die fröhlich lachen und sich offenbar mit dem Hochzeitspaar freuen, und welches schon an Willi vorbeigerauscht ist. Na, die haben vielleicht Nerven hier so nen Zinnober zu machen, denkt Willi und schaut finster drein. Was geht ihn das an, wenn ihm völlig wildfremde Leute meinen, heiraten müssen. Und was erlauben die sich eigentlich, ihm den Weg zum Bäcker zu versperren? Unverschämtheit. Belästigung unbescholtener Bürger ist das, sagt sich Willi und schaut noch ne Spur finsterer in die Autofenster mit den drinsitzenden Leuten, die ihn auch noch freundlich anlächeln. Und überhaupt, wie kann man denn heiraten? Das ist doch alles Humbug und für die Katz. So ne Ehe ist doch eher wie ein Kerker. Nichts darf man dann mehr und wenn er an seine Gertrude denkt, die immerzu was zu meckern und zu nörgeln hatte, könnte er sich bis heute noch in den eigenen Arsch beißen, dass er die blöde Kuh damals geheiratet hat.
Naja, jetzt ist sie tot und Willi hat seine Ruhe und kann tun und lassen, was er will – ohne diese scheiß Nörgelei. Das findet er ziemlich gut, also das mit der Ruhe und der Freiheit. Gar nicht gut findet Willi, dass diese dämliche Karawane kein Ende zu nehmen scheint. Gleich macht der Bäcker zu und nichts ist mit den fünf Brötchen zum Preis für drei. So geht das aber nicht, denkt Willi und schwingt ungehalten seine Faust. Ihr werdet euch noch wundern, wenn die Hochzeitsfeier vorbei ist und der Ehealltag kommt, ja wundern werdet ihr euch, schimpft Willi – und wagt sich hinsichtlich des gleich schließenden Bäckers auf der anderen Seite der Straße mutig zwischen zwei der gerade langsamer fahrenden Autos, und das selbstredend nicht ohne dem Fahrer des zweiten auf ihn zukommenden Wagens böse Blicke zu zuwerfen. Der findet es wohl lustig mich auch noch frech anzugrinsen, denkt Willi und betritt leicht zornig die Gegenfahrbahn auf dem Weg zu seinen Brötchen, und dies natürlich nicht ohne die Leute da in dem Auto auch weiterhin mit bösen Blicken zu bombardieren und leise Flüche in Richtung der blöden Hochzeitskarawane auszustoßen.
Ja, ihr werdet euch noch wundern, denkt Willi wieder und wundert sich mächtig, dass er plötzlich wie ein Vogel durch die Luft fliegt, so hart hatte ihn das von ihm unbemerkte und heransausende Auto auf der Gegenfahrbahn erwischt. Die schrillen Schreckensschreie der Leute in seinen Ohren wahrnehmend, wird Willi beim klatschend lauten Aufprall mittenmang in einen der Planzenkübel aus Beton bewusst, dass das jetzt mit dem fünf Brötchen zum Preis von drei wohl nichts mehr wird – und mit seinem letzten Seufzen wird Willi noch viel schlimmer klar, dass er jetzt seine Gertrude wieder an der Backe haben wird, wenn man dem Herrn Pfarrer Glauben schenkt.
Das hast du nun davon, dass du geheiratet hast, denkt Willi noch und segnet umrahmt von bunten Stiefmütterchen das Zeitliche.
So was aber auch.
