27. märz, eifelturm
27. märz, eifelturm

27. märz, eifelturm

„Unbezahlbar ist sowieso, dass man dann seinen Körpergeräuschen aller Art hemmungslos freien Lauf lassen kann. Und sich nicht über die Anderer aufregen muss.“

Wieder daheim. 6:02, ich hasse das. Aufzuwachen und gleich zu merken, dass alles klitschnass geschwitzt ist. So scheiße nass, dass ich das T-Shirt kaum ausgezogen kriege. Als wären Haut und Baumwollstoff mit meinem Schweiß verschmolzen.

„Das ist gut“, hat der Doktor gesagt. „Sie reagieren ganz normal auf die Stents in ihrer Aorta. Sind ja immerhin Fremdkörper, an die sich ihr Organismus erst noch gewöhnen muss. 3-4 Tage und die erhöhte Temperatur gibt sich. Ihr Aneurysma war ja mit seinen 5,4cm Durchmesser lebensgefährlich und jetzt haben sie es geschafft. Es kann nicht mehr reißen und in ein paar Wochen sind auch ihre Leisten wieder abgeschwollen und wie neu. Das wird schon wieder.“

Sagte er so oder ähnlich. Ich weiß, dass er Recht hat, ist ja ein Fachmann. Trotzdem.

Panik.

36,2. Temperatur ist wieder unten. Wenn sie heute Nachmittag nicht wieder ansteigt, sind die 3-4 Tage vorbei. Bitte.

Ich hatte dein kleines Schutzbärchen feste in der Hand. Auf der Fahrt zum OP hab ich angefangen, zu weinen. Ja, weinen. Nicht heulen oder flennen. Ich hab geweint. Weil du nicht bei mir sein konntest. Wie damals bei der OP. Später haben mir die Schwestern erzählt, dass du die ganzen 8 Stunden vor dem Saal gesessen hast. Liebe. Dieses Mal waren es nur 1 1/2 Stunden. Minimal-invasive Verfahren haben ihre Vorteile. Und nicht jeder hat ein Metallgebilde in der Aorta, das wie ne Miniatur des Eifelturms aussieht.

Ich war ja immer schon ein ulkiger Typ

3 Jahre. 2 Monate und 12 Tage bist du jetzt schon nicht mehr da. Seit 3 Jahren, 2 Monaten und 12 Tagen schweige ich. Ich weiß immer noch nicht, wie man das nennen soll. Gebrochenes Herz? Verlorene Seele? Gebrochener Mann? So gebrochen wie deine Augen, als ich dich gefunden habe?

Ich weiß, warum ich immer noch schweige.

Doch, es war nett auf der „Privatstation“. Der Krankenhausfraß war hübscher dekoriert und das Einzelzimmer inklusive Internet & W-Lan seine 7,77 mtl. Zusatzversicherung wert. Unbezahlbar ist sowieso, dass man dann seinen Körpergeräuschen aller Art hemmungslos freien Lauf lassen kann. Und sich nicht über die Anderer aufregen muss. Oder ekeln.

Schon 7:00.

Ich bin bei der Abfahrt gar nicht bei dir vorbeigekommen und hab Tschö gesagt. Für mich bist du eh nicht in diesem Erdloch. Das bist du nicht.

Ich glaub, der Hund ist depressiv.

Er hatte es verdammt schön, die letzten Tage. Rheinspaziergänge, nen Kumpel und so was. Alles was er noch von früher kannte. Als ich noch meine eigene Familie hatte. Ich hatte 1000 Sorgen und Ängste. Auf dem Weg in die Klinik. Nicht um den Hund. Bin so froh, dass es ganz enge Menschen um mich gibt, die da sind. Selbst wenn ichs gerade mal nicht verdient hab.

Schwester und ich kämpfen immer noch mit der Unfassbarkeit, dass unsere kleine Schwester sich das Leben genommen hat. Sie hat schon vor 3 Jahren ihren besten Freund verloren. Dich, und auf die gleiche Weise. Wir hatten uns gerade nach so langer Zeit wieder ein bisschen erholt und Licht am Horizont und so. Jetzt ist sie wieder fertig. Wie ich auch. Trotzdem war sie da, und hat mein Heim gehütet. Dankbarkeit. Wir müssen Wege für uns finden. Sie und ich. Gemeinsam. Da war was mit Freude. Mit Spaß. Mit Lust am Leben. Da war was. Nicht nur Horizontlichter.

Time for the living?

Der Hund ist bestimmt depressiv.

Er wollte gestern Abend am liebsten gleich wieder mit. In ihr Auto. Und zurück in die tollen Ferien. Seitdem ignoriert er mich. Bettelt nicht mal. Bin eifersüchtig. Und froh. Er hatte es eindeutig mehr als gut. Natürlich. Deshalb war er ja auch bei ihr. Vertrauen.

Wenn ich jemandem vertraue, wenn überhaupt, dann hat das seinen Grund. Manchmal gibt es Menschen die haben so ein großes Herz, dass man sich wundert, dass die von dem Gewicht nicht ständig umfallen. Vielleicht sind große Herzen aber auch ganz leicht und luftig.

Sie hat solch ein Herz. Freundin.

Irgendwie gibt es verdächtig viele große Herzen in meiner engen Nähe. Viele. Eine Hand voll und ein bisschen mehr. Und sie sind alle geblieben. Niemand konnte es nach deinem Tod noch wirklich mit mir aushalten. Trotzdem. Sie sind geblieben. Vielleicht hab ich ja nicht alles im Leben falsch gemacht.

Wirst du jetzt dramatisch?

Ich muss grinsen. Drama. Graue Tage, blaue Tage. Aufs und Abs, Liebe, Leid und Lust und jeden Tag was Neues. Schmerzen. Man wünscht sich alle Beinbrüche dieser Welt auf einmal, nur damit dieser eine aufhört. Wenigstens für einen Moment. Aber das wird nie aufhören. Du hast mir deine Liebe, und den Schmerz um dich da gelassen. Das ist Drama genug.

Die Sonne knallt ins Küchenfenster.

Halb Neun.

In der Klinik gäbe es jetzt Frühstück. Ich hab alles gefressen, was es gab. Morgens, mittags, abends. Als hätte ich was nachzuholen. Ich kann keine Bananen mehr sehen. Die und diese alle gleich schmeckenden Fertigsuppen. Reingewürgt. Jahrelang, seitdem du nichts mehr essen brauchst. Jahrelang, nur weil ich was essen musste. Wenn man sich selbst wie den letzten Dreck behandelt, oder nicht mal mehr das, dann ist echt was nicht in Ordnung.

Dabei mag ichs ordentlich.

Gerade hätte ich große Lust, nackich durch den Garten zu flitzen, ein Morgensonnentanz sozusagen. Gut, dass ich bekloppt bin und das auch bleibe. Gut, dass ich gerade nicht flitzen kann und brav drinnen bleibe. Wundheilung und so.

Bekloppt.

Das Leben ist bekloppt. „Das Leben ist viel zu schön, um traurig zu sein“, hast du mir mal ins Ohr geflüstert, als mal wieder alles grau war. Was für ein schöner Satz. Wie traurig musst du gewesen sein.

Nein, ich werde nie aufhören an dich zu denken. An das alles. An unsere Jahre. Du lieber, lieber Mensch. An meiner Seite. Ich denk an dich. Jeden Tag. Ich werd nicht aufhören, keinen Tag. Dich zu lieben. Ich werd nicht aufhören traurig zu sein. Keinen Tag.

Aber ich hab aufgehört, mich zu vergessen.

Wie könnte ich das auch, wenn 4 oder 5 Chirurgen an deinen Leisten rum doktern, während das bedauernswerte  Pipimänneken verschreckt g’schamig zusammengeschrumpft wie ein kleiner Champignon freiluftmäßig dabei steht, weils wegen der Leistennähe keine Verpackung gab. Und das auch noch rundrum kahlrasiert. Das vergisst man nie.

Und dass ich dann tatsächlich mitten in der OP pinkeln musste, und einfach sollte. Kein Problem, war die einhellige Meinung. Ich hatte ne andere. Ich kann nicht mal in Männerpissoirs strullen. Jetzt bloß keinen Abbruch, ne Verkrampfung oder ne unkontrollierte Bewegung, weil die Blase gleich platzt. Ich glaub, ich kann ganz schön tapfer sein. Das arme Pipimänneken auch.

Guck an, der Hund fängt wieder an, um mich rumzuschwänzeln. Vielleicht ist er ja gar nicht depressiv und nur beleidigt. Hunde.

Vergangenen Dienstag dachte ich noch, dass ich am nächsten Morgen sterben werde. Heute ist Samstag und aus dem Sterben ist nix geworden. Erstmal.

Time for the living.

Bekloppt. Alles.

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