Nebelzeiten
Nebelzeiten

Nebelzeiten

Seine Freunde starrten ihn fassungslos an. Sie sahen und fühlten nicht wie er, fühlten nicht den brennenden Schmerz auf seiner Haut.

Sie grinsten.

Immer näher kamen sie auf ihn zu und hörten nicht damit auf, ihn anzugrinsen. Wie zur Hölle können Pfauenfedern grinsen? Jakob schaute verstohlen zu seinen Freunden, die mit ihm am Tisch saßen. Ja, sehen die das denn nicht? Sie müssen sie doch sehen! Die grünbunten Federmonster kamen aus der Erde wie greifende Hände und wuchsen und wuchsen.

Gesichter.

Böse kleine Gesichter starrten ihn an. Schon fingen sie an, sich wie Efeu um die Tischbeine zu winden. Tanzten und kicherten im lauen Sommerwind, während sie immer wieder auf ihn zuschossen und ihre kleinen Fühler ausstreckten. Schwarze Augen blitzten und funkelten. Kamen von allen Seiten. Es raschelte und wisperte überall. Und es war zu hören, wie die Federn in einen monotonen Singsang verfielen. Sangen gehässige Lieder, deren Worte Jakob nicht verstand und von denen er doch wusste, dass sie ihn verhöhnten. Sie wollten ihn in den Irrsinn treiben. Ihm wurde heiß und seine Augen wanderten hektisch hin und her. Kommt nicht näher. Bleibt weg. Ihm brach der Schweiß aus. Die Ungeheuer waren bereits bis auf Schulterhöhe gewachsen, als sie begannen ihn spinnengleich einzukreisen. Jakob wusste, sie würden ihm wehtun und ihn in Stücke zerreißen. Er zuckte zusammen, als einer seiner Freunde fragte, was denn los sei und warum er auf einmal so merkwürdig still ist.

Er hörte nicht mehr zu. Offensichtlich sahen die anderen nicht, welches Szenario sich ihm da bot. Das musste der Wahnsinn sein. Gleich würde er schreien und das war’s.

Plötzlich fingen die Dinger an sich um Jakobs Beine zu wickeln. Seine Brust, seinen Hals. Sangen in sein Ohr. Flüsterten unflätige Worte. Versuchten mit ihren zuckenden kleinen Klauen aus Federn in seinen Mund, seine Nase zu kommen. Sie wollten ihn tot singen, ihn ersticken. Musste er gleich sterben? Sich dabei jämmerlich in die Hose pissend? Nein! Er kreischte hysterisch los und sprang vom Stuhl auf. Wild um sich schlagend versuchte Jakob mit überschnappender Stimme zu erklären, was sich gerade vor seinen Augen abspulte. Seine Freunde starrten ihn fassungslos an. Sie sahen und fühlten nicht wie er, fühlten nicht den brennenden Schmerz auf seiner Haut. Die grünen Dinger hatten ihn dicht umzingelt und angefangen, sich um seinen Körper, seine einzelnen Glieder zu schlängeln. Sie wollten ihn erdrücken.

Unkontrolliert um sich schlagend lief er keuchend davon, rannte mit der buchstäblichen Angst im Nacken um sein Leben. Dennoch, es wäre doch gelacht, wenn er diesem schlechten Scherz, diesen gefiederten Fischer-Chören nicht entkommen könnte. Nur nicht umdrehen. Bloß nicht. Schnell, schnell weiter. Konnte er es wagen zurückzuschauen, würden sie ihn dann einholen, nach ihm greifen und ihr teuflisches Werk vollenden? Nichts davon.

Die grässliche Brut war einfach stehen geblieben. Verharrte dort in Reih und Glied und lachte ihn aus. Diabolisches, schmutziges Lachen hallte noch nach, als Jakob schon längst in der Straßenbahn saß. Nach Hause. Nur nach Hause. So schnell es ging. Ihm war übel. Der kalte Schweiß rann an ihm herunter und er konnte nicht aufhören zu zittern. Vor Kälte. Vor Angst.

Völlig erschöpft aber erleichtert betrat er seine Wohnung.

Wurde wie immer freundlich von Hund und Katz begrüßt. Endlich zu Hause. Hier wähnte Jakob sich sicher, hier konnte ihm nichts passieren. Die Tiere würden ihn schon warnen. Vorsichtshalber machte er trotzdem überall Licht und kontrollierte gründlich jeden Raum. Nein. Nichts. Wirklich nichts? Nein. Da war nichts. Der Schweiß klebte wie getrocknetes Zuckerwasser auf seiner Haut, jeder einzelne Knochen schien zu schmerzen. Stöhnend zog er sich aus, warf die Klamotten achtlos in die Ecke und entschied, sich noch etwas Kaltes zu trinken zu holen. Auf dem Weg in die Küche stockte er, denn plötzlich war da ein ungutes Gefühl. Hatte er im Schlafzimmer eine Bewegung wahrgenommen? An der Wand stand eine große Kleiderstange. Raschelte es dahinter oder täuschten sich seine Ohren? Irritiert und verängstigt guckte Jakob noch mal genauer hin. Bewegte sich da etwas? Ja. Da bewegte sich was. Sind sie ihm doch hinterher? Konnten die Federn schneller laufen als die Bahn fahren? Starr vor Angst stierte er förmlich auf seine Klamotten. Lauschte.

Gleich würden sie wieder ihren Schauergesang anstimmen.

Leise schlich er sich in die Küche und griff nach der gusseisernen Bratpfanne. Hatte nicht einst Don Quichotte auf seiner treuen Rosinante kühn den Kampf gegen die Windmühlen aufgenommen? Sollte er da weniger mutig sein, nackt und nur mit einer Pfanne bewaffnet? Plötzlich sah Jakob ihn. Gerade kletterte Michael Jackson über die Kleiderstange und zielte mit einem Gewehr auf ihn! Vorhin noch die gefiederte Armee und jetzt dieses verunstaltete quiekende Bleichgesicht. Aus irgendeinem Reflex heraus machte er einen Schritt auf den im Takt von „Thriller“ zuckenden Jackson zu, der sich zu seiner Verblüffung zurückzog. Das gusseiserne Teil schützend vor sich haltend ging er weiter, willens, Michael damit eins über die Nase zu ziehen, aber der wimmernde Feigling stieg wieder hinter die Kleiderstange. Seinen ganzen Mut zusammennehmend, stieß Jakob mit der schweren Bratpfanne in die hängenden Kleidungsstücke. Hektisch durchwühlte er alles, zerrte und stocherte, riss die Stange um. Aber er war nicht mehr da.

Langsam ging er zurück ins Wohnzimmer.

Seinen Blick auf den am Boden liegenden Kleiderhaufen gerichtet, hörte Jakob ihn plötzlich unmittelbar hinter sich. Da stand er wieder. Hämisch grinsend, wie die Federn. Und fing an zu singen. „Beat It“ Während der Dreckskerl jauchzend sang, zielte Michael wieder mit seinem Gewehr auf ihn. Und damit fing das Spiel erst richtig an. Ging Jakob auf ihn zu, wich Jackson zurück. Machte Jakob ein paar Schritte zurück, kam der wieder auf ihn zu. Vor Angst lief ihm der Speichel aus den Mundwinkeln, er faselte etwas Unverständliches vor sich hin, während Michael Jackson fröhlich jubelnd „We Are The World“ anstimmte und ihm mit einem gehässigen Grienen den Gewehrlauf auf die Nase setzte.

Das war zuviel.

Brüllend drehte Jakob sich um die eigene Achse und stob aus der Wohnung. Unten angekommen, riss er die Haustür auf und rannte um Hilfe schreiend auf die Straße. Zitternd stand er da, nackt und mit der Bratpfanne in der Hand. Es war bereits dunkel und keine Menschenseele weit und breit, wie leergefegt. Was sollte er nur tun? Was? Seine Tiere. Verdammt, seine Tiere! Was ist, wenn der sie erschießt? Das konnte er nicht zulassen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, Jakob musste wieder nach oben und langsam stieg er die Treppe hinauf. In der Wohnung war es totenstill. Nirgends Michael, nirgends die Tiere. Die beiden hatten sich längst unterm Bett verkrochen und lugten ängstlich und verständnislos darunter hervor. Gewissenhaft suchte er jeden Winkel ab, Michael Jackson war verschwunden und er hoffte, dass der jetzt endgültig an seinen Songs erstickt ist.

War es wirklich vorbei?

Jakob hatte die Frage in seinen Gedanken noch nicht zu Ende formuliert, als die Situation eskalierte. Plötzlich war die kleine Wohnung voller Menschen. Oder waren es neue Untiere? Die waren alle so grün, er konnte es nicht mehr unterscheiden. Gut und Böse vermischte sich, wurden zu einer einzigen teuflischen Macht um ihn zu vernichten. Diesen grün-silbrig gefiederten Vorboten der Hölle würde er es schon zeigen. In seinem Kopf knallte es. Grölend und mit hervortretenden rotunterlaufenen Augen stürzte Jakob sich siegessicher mit der Pfanne schwingend auf die Eindringlinge, gewiss, dem Monsterreigen dieses Mal den Garaus zu machen. Mit wüsten Beschimpfungen versuchte er auf die übermächtigen Pfauenfedern einzudreschen, ihnen die Köpfe abzuschlagen. Überhörte die mahnenden Stimmen der Polizeibeamten, die ihn beruhigend aufforderten das Ding wegzulegen.

Ihn beruhigen?

Ja, ja. Das war doch nur ein billiger Trick! Konnten Federn so hinterhältig und böse sein? Ja, sie konnten, das wusste Jakob jetzt. Sie wollten ihn fangen, ihn verschleppen und genüsslich auffressen, dessen war er sich sicher. Niemals würde er aufgeben, niemals. Platt machen wird er sie, diese Teufelsgesellen. Große starke Hände griffen nach ihm und wollten ihn festhalten. Er schlug um sich, wand sich und trat nach ihnen, aber es nützte nichts. Die Dämonen waren stärker. Nichts ging mehr. Das Böse hatte Jakob in seinen Klauen und er würde als singende Pfauenfeder enden. Ja, das würde er. Täuschte er sich oder stand da auf einmal seine Mutter? Sie könnte es sein. Oder auch nicht. Wusste er zu gut, dass der Feind verschiedene Gestalten annehmen konnte. Vielleicht ist sie es ja doch? Er fing an wie ein Baby zu weinen und zu quengeln. „Mama, Mama!“ Immer wieder.

Hörte sie ihn überhaupt?

“Mama, Mama!“ jammerte es aus ihm heraus, während er ihm Polizeigriff auf dem Boden kauerte. Nur ein Augenblick, eine kurze Lockerung und Jakob hatte sich losgerissen und war wieder auf den Beinen. Die Höllenbrut würde ihn nicht kriegen. Von wegen Mutter. Der Satan in Menschengestalt war das. Seine Mama würde niemals zulassen, dass ihm irgendjemand weh tut. Ihr Kopf flog zur Seite, als er ihr eine ballerte und im gleichen Moment klackten auch schon die Handschellen. Mit gesenktem Kopf stand er da, nackt und frierend, seinem kommenden Schicksal harrend. Er hörte ihr leises Gemurmel, spürte ihre Blicke. Gleich, gleich würden sie ihn zu sich holen, gleich. Die Notärztin schaute ihn prüfend an, versuchte mit ihm zu sprechen. Es hatte keinen Sinn, Jakob verstand nichts von dem, was sie versuchte ihm zu sagen.

Psychiatrie? Zwangseinweisen, bis sie wissen, was mit ihm geschehen war und er sich wieder beruhigt hatte?

Er begriff kein Wort. Hörte nicht mehr hin. Die Dämonen hatten ihn, sollen sie doch machen, was sie wollen. Gefesselt und in ein Bettlaken eingehüllt, ließ er sich widerstandslos abführen und in einen Polizei-Bully verfrachten.

Leise kicherte Jakob blöde vor sich hin.

Das Heer der satanischen Chöre hatte seinen Triumph und die dunkle Herrschaft übernommen. Don Quichottes Schlacht gegen die Windmühlen aus grünem Federzeugs war verloren. Verloren? Hatte er wirklich verloren? Sie sahen doch so wunderschön aus, diese grünsilbrig glänzenden Pfauenfedern. Bewundernd betrachtete er ihren schwebenden Tanz, hörte ihren verlockenden Gesang. Wie konnte er glauben, dass sie ihn verhöhnten? Wie konnte er vor ihnen weglaufen? Sie liebten ihn doch, das konnte er spüren. Wohlige Schauer überfluteten ihn, als seine neuen Freunde sich zärtlich an ihn schmiegten und ihn mit ihren lieblichen Stimmen einlullten.

Sanft ließ Jakob sich von der Melodie ihres bezirzenden Gesanges hinfort tragen und stimmte fröhlich summend mit ein.

Sie hatten gewonnen.

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